Aktienquote im Alter: Seien Sie mutig!

Mit dem Alter sollte man die Aktienquote senken, weil sich Verluste nicht mehr so einfach aussitzen lassen - so die gängige Anlegerweisheit.
Aktienquote im Alter: Seien Sie mutig!
Werfen Sie alte Anlage-Dogmen über Bord.

Doch das Gegenteil ist richtig: Gerade 50Plus könnten sich viel häufiger an die Börse wagen, schreibt Christian Kirchner auf "Spiegel online". Mit wissenschaftlichen Studien über gute Vorsorgestrategien ist es so eine Sache: Heute zu erfahren, wie man gestern optimal investiert hätte, ist oft eher schmerzhaft als wirklich nützlich. Diese Tatsache sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich mit einer frischen Untersuchung aus den USA auseinandersetzt.

In dieser Studie rütteln die Verfasser an jener auch intuitiv logisch erscheinenden Vorgehensweise, nach der die Quote riskanter Anlageformen wie etwa Aktien am Gesamtvermögen mit zunehmendem Alter sinken sollte. Auch eine populäre Faustformel legt nahe, dass die Aktienquote in etwa 100 minus Lebensalter betragen kann, mithin also für einen angehenden Rentner von 65 Jahren etwa 35 Prozent, im hohen Alter von 85 dann aber nur 15 Prozent.

Alles Quatsch, sagen US-Finanzprofessor Wade Pfau und Co-Autor Michael Kitces. In einer aufwendigen Simulation haben sie untersucht, welche Aktienquote für angehende Rentner in verschiedenen Kapitalmarktumfeldern über 20, 30 oder 40 Jahre optimal wäre, wenn man jedes Jahr vier oder fünf Prozent des anfänglich investierten Vermögens entnimmt.

Optimal heisst: Das Geld soll über den gewünschten Zeitraum reichen und wird nicht vorher durch Crashs und Entnahmen aufgezehrt. Das paradox klingende Ergebnis: In der überwältigenden Mehrheit der Fälle ist nicht eine zunächst hohe und dann allmählich sinkende Aktienquote ratsam, damit das Geld tatsächlich auch bis zu 40 Jahre reicht.

Es ist umgekehrt klüger, mit einem Anteil von lediglich 20 Prozent oder ein wenig mehr in Aktien den Ruhestand zu starten und diesen Anteil dann Jahr für Jahr zu steigern. Wie kann das sein? Die Erklärung ist verblüffend einfach: Für den in Aktien investierten Teil eines Vermögens, das einem Rentner die Alterseinkünfte sichern soll, besteht natürlich jederzeit die Gefahr eines Crashs, wie man ihn etwa in den Jahren 2000 bis 2003 oder 2008/2009 gesehen hat.

Hier drohen zwischenzeitlich Einbrüche von 50 Prozent oder gar mehr. Ein derartiger Einbruch unmittelbar nach Beginn des Ruhestands trifft ein Portfolio mit einem vergleichsweise hohen Aktienanteil hart. Von solch einem Rückschlag kann es sich kaum noch erholen, wenn anschliessend auch noch die Aktienquote der gängigen Lesart folgend kontinuierlich heruntergeschraubt wird.

Umgekehrt gilt: Nach einigen guten Jahren fallen mögliche Einbrüche nicht mehr so sehr ins Gewicht, da das Portfolio bereits Zeit hatte, zu wachsen und zu gedeihen. Entnahme- oder Auszahlpläne gehören auch in Deutschland zu den Standardprodukten grosser Banken und Fondsgesellschaften, ebenso sogenannte Zielfonds, deren Aktienquoten allmählich sinken.

Für das bessere Verständnis der zunächst widersinnig klingenden Strategie, die die US-Forscher vorschlagen, hilft es, sich die Marketing-Floskeln der Fondsanbieter in Erinnerung zu rufen: Wenn es um die Ansparphase geht, trommeln diese mit der segensreichen Wirkung des sogenannten Durchschnittskosteneffekts.

Wer jeden Monat einen bestimmten Betrag in einen Investmentfonds investiert, kauft automatisch bei tiefen Kursen viele Anteile und bei hohen nur wenige. Und verhält sich entsprechend optimal antizyklisch. Das stimmt natürlich. Bei den Entnahmeplänen für Ruheständler fällt indes die Spiegelung dieses Arguments gerne unter den Tisch: Wer jeden Monat einen fixen Betrag bei zugleich schwankenden Kursen aus seinem Fonds entnimmt, verkauft auch umgekehrt bei niedrigen Kursen besonders viele Anteile und bei hohen Kursen besonders wenige.

Das ist prozyklisch und alles andere als clever. Mit der von US-Forscher Pfau vorgeschlagenen Strategie der steigenden Aktienquote kontert man gewissermassen diesen vermögenszehrenden Effekt. Derlei Erkenntnisse bedeuten für die meisten Anleger vermutlich nicht allzu viel. Gerade einmal jeder 13. Deutsche über 60 besitzt überhaupt direkt oder indirekt Aktien, wenn man den Daten des Deutschen Aktieninstituts glauben darf.

Und selbst wer Aktien besitzt, braucht natürlich Nerven aus Stahl, wenn er gegen jede Intuition und die mit dem Alter steigende Risikoaversion seinen Aktienanteil graduell erhöhen soll. Dabei spricht auch die Empirie hier eine deutliche Sprache: Im Schnitt gehen in Deutschland Männer mit rund 61 in Rente.

Männer haben dann durchschnittlich noch 21, Frauen gar 24 Jahre zu leben. Mit einem breiten Aktienengagement etwa in den Deutschen Aktienindex Dax hätten Anleger seit dem Zweiten Weltkrieg in keiner 21- oder 24-Jahres-Periode schlechter abgeschnitten als mit 5,3 Prozent Rendite pro Jahr.

Bereits bei gut 15 Jahren wird jene Haltedauer erreicht, innerhalb derer Dax-Anleger in der Vergangenheit selbst unter widrigen Bedingungen niemals Verluste schrieben. Spätestens wenn sich unter angehenden und aktuellen Rentnern die Erkenntnis durchsetzt, dass die aktuell extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen von Dauer sein werden, dürfte ein Umdenken in Sachen Aktien einsetzen.

Ein Umdenken auch in der Frage, was am Ende riskanter ist: Staatsanleihen mit Renditen unterhalb der Teuerungsrate, aber immer grösseren Ausfallwahrscheinlichkeiten. Oder Aktien, mit denen immerhin noch die Chance auf einen realen Werterhalt des Kapitals plus ein bisschen mehr besteht - allen kurzfristigen Kursrisiken zum Trotz.


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