Was Alleinsein von Einsamkeit unterscheidet

Niemand ist immun gegen das Gefühl, isoliert zu sein, so der Psychologe John Cacioppo. Einsamkeit warne einen, dass es Zeit sei, Anschluss zu suchen.
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Sie ist allein, muss deshalb aber nicht einsam sein.

Doch für manche wird daraus ein Dauerzustand, schreibt Fanny Jimenez auf "welt.de".

Alleinsein und Einsamkeit zu unterscheiden sei äusserst wichtig, betont John Cacioppo, der versierteste Einsamkeitsforscher der Welt. Denn beides habe zunächst einmal nichts miteinander zu tun. Einsamkeit, so sagt der Psychologe von der University of Chicago, ist nicht an die An- und Abwesenheit von Menschen gebunden.

Sie sei auch nicht an die Anzahl von Menschen gebunden, die man kennt. Wer einsam sei, dem fehlten nicht einfach Menschen - sondern das Gefühl, von ihnen beachtet zu werden, anerkannt und gebraucht. Es charakterisiert eine tiefe Unzufriedenheit mit den Beziehungen, die schon bestehen.

Einsamkeit schleicht sich von Zeit zu Zeit in jedes Leben: Beim ersten Tag an einer neuen Schule, auf der Party, wo man niemanden kennt, beim Blick ins Zimmer das Kindes, das ausgezogen ist, oder nach dem Tod des Lebenspartners. Niemand ist davor gefeit. Auch Berühmtheiten wie Prinzessin Diana, Romy Schneider, Marilyn Monroe oder Janis Joplin waren zutiefst einsam.

"Menschen die in der Einsamkeit feststecken, haben nichts falsch gemacht", schreibt Cacioppo in seinem Buch "Loneliness". "Niemand von uns ist immun gegen das Gefühl, isoliert zu sein, genauso wenig wie wir immun sind gegen Hungergefühle oder Schmerz." Tatsächlich konnten er und seine Kollegen in Untersuchungen zeigen, dass Kooperation mit anderen das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert.

Wird ein Mensch dagegen sozial ausgeschlossen oder zurückgewiesen, dann wird bei ihm ein anderes Zentrum aktiviert: jenes, das auch bei körperlichem Schmerz anspringt. Und das sei äusserst sinnvoll, sagt Cacioppo. Seine Argumentation: In der Geschichte der Menschheit sei die Zugehörigkeit zu anderen überlebenswichtig gewesen.

Nicht ohne Grund ist die schlimmste Strafe, die Kulturen weltweit über ihre abtrünnigen Mitglieder verhängen, die Isolation von der Gruppe, etwa als Ausstoss aus dem Clan oder als Einzelhaft. Das Gefühl, einsam zu sein, ist demnach ein wichtiges Warnsignal. Es fordert dazu auf, Anschluss zu suchen, Kontakte einzufordern, aktiv zu werden.

Der Wunsch, dazuzugehören, Menschen zu haben, denen man trauen kann und die sich um einen sorgen, ist also ein Ausdruck dieses fundamentalen Bedürfnisses nach sozialem Anschluss und emotionaler Bindung. In der Psychologie unterscheidet man seit den 70er-Jahren daher diese zwei Arten von Einsamkeit.

Der Soziologe Robert Weiss von der University of Massachusetts entwickelte dazu die zwei messbaren Dimensionen soziale Einsamkeit, die einen Mangel an sozialer Integration erfasst, und emotionale Einsamkeit, die den Mangel an festen Vertrauenspersonen abbildet.

Einsamkeit als Warnsignal tritt häufig dann auf, wenn sich das eigene Leben verändert und damit das ganze soziale Leben und die Routine, die es vorher geprägt hat: unverbindliche Kontakte, die Einbindung in Gruppen und enge Vertraute. Das passiert etwa bei Umzügen, nach der Kündigung im Job oder wenn man von seinem Partner verlassen wurde.

Entscheidend dafür, ob das Alleinsein dann als Einsamkeit empfunden wird, ist vor allem eines: ob die Situation freiwillig gesucht wurde oder ob sie von aussen auferlegt wurde. Ein Alleinsein, für das man sich selbst aus freien Stücken entschieden hat, wird oft als sehr befreiend und wohltuend erlebt. Befreiend und wohltuend sollte es auch sein, dem Warnsignal Einsamkeit zu folgen und sich kurzerhand wieder Kontakte zu suchen, sobald sie einem fehlen, oder sie zu intensivieren, wenn sie emotional verflacht sind.

Doch zwei Prozent aller Deutschen erleben Einsamkeit als Dauerzustand, wie eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie ergab. Was also passiert, wenn aus dem Warnsignal Einsamkeit ein Dauerzustand wird? Einige Studien zeigen, dass das Alter eine Rolle spielt: So fühlen sich besonders Jugendliche und Menschen ab 80 Jahren oft einsam.

Andere Studien zeigen, dass eine Ehe einigen Schutz gegen Einsamkeit bietet ebenso wie ein fester Job und die Mitgliedschaft in Vereinen oder Klubs. Und wieder andere zeigen, dass es einige Menschen gibt, die aufgrund ihrer Persönlichkeit besonders anfällig für Gefühle von Einsamkeit sind.

Diese Menschen sind eher pessimistisch, schüchtern, auf sich fokussiert, können sich schlechter auf andere konzentrieren und in sie einfühlen: Sie teilen sich weniger mit, besonders, wenn es um ihre tiefsten Gedanken und Gefühle geht - das ist vor allem für Frauen ein Faktor, sich einsam zu fühlen.

Bei den Männern spielt es dagegen eher eine Rolle, ob sie Mitglied einer grösseren Gruppe sind, etwa im Sportverein. Menschen mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur haben grössere Probleme, Kontakte selbst zu beginnen, sie nicht mit zu viel Erwartungen zu überladen und sie nicht eigenhändig abzubrechen, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich gewünscht haben.

John Cacioppo fand in einer Studie 2009 noch einen weiteren Faktor: Einsame suchen und finden ihresgleichen - sie knüpfen eher den Kontakt zu anderen chronisch Einsamen. "Wenn man nicht auf das Warnsignal reagiert, fällt man der chronischen Einsamkeit in die Hände", sagt Cacioppo. "Und diese hat sehr schädliche Einflüsse auf die Psyche, aber auch auf den Körper."

Eine Metastudie, die 148 Untersuchungen mit insgesamt mehr als 300.00 Probanden zusammenfasste, ergab 2010 Folgendes: Wer sich einsam fühlt und keine stabilen Beziehungen zu anderen Menschen aufbaut, stirbt im Schnitt früher als andere. Einsamkeit, so das Ergebnis, ist demnach ebenso schädlich für die Gesundheit wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen, und schädlicher als Übergewicht.

Cacioppo konnte in Untersuchungen auch zeigen, dass sogar das Immunsystem von Einsamen anfällig reagiert. Sie leiden unter häufigen Infekten, Entzündungen, Kopfschmerzen und Herz-Kreislauf-Problemen. Cacioppo hat zusammen mit Kollegen deshalb "ease" entwickelt - ein Programm gegen Einsamkeit, das die Erkenntnisse aus 20 Studien zusammenfasst.

"Einsame sind sich bewusst, dass ihre sozialen Bedürfnissen nicht erfüllt werden", so der Psychologe, "aber sie glauben auch, dass sie selbst nicht unter Kontrolle haben, das zu ändern." Das sollen sie mit "ease" wieder lernen. Das "e" steht für "extent", also ausweiten, sich einen sicheren Platz suchen, von dem aus man Kontakt aufbauen kann, etwa als Tutor oder freiwilliger Helfer im Tierheim.

Das "a" steht für "action" und soll daran erinnern, dass nur eigene Aktivität aus der Einsamkeit führt. Dabei helfen kann ein Plan, welche Aktivitäten man wann genau angehen möchte. "Das "s" für "selective" ermutigt, sich genau auszusuchen, wem man sich nähern möchte, und das dafür intensiv zu versuchen.

Denn Einsame geben manchmal schnell auf, wenn sie Kontakte nicht so schnell entwickeln, wie sie es sich wünschen. Das letzte "e" steht schliesslich für "expect the best" - denn viele Einsame fürchten sich vor Zurückweisungen und verharren daher in ihrem Zustand.


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