Wenn Senioren über ihr Liebesleben sprechen

Wer «All the Sex I‘ve Ever Had» bei den Wiener Festwochen sieht, darf nicht darüber schreiben. Was die Senioren sagen, bleibt im Theater.
Sexleben, Beziehung, Zärtlichkeit, Intimität
Öffentlich über das eigene 50plus-Liebesleben zu sprechen, braucht Mut (Bild: Fotolia)

Seit 2014 bereits erfolgreich in Bern, Singapur, Glasgow oder Portland aufgeführt, bietet das vom Dramatiker Darren O'Donnell konzipierte Projekt im Lauf von 90 Minuten genau das, was der Titel verspricht: In der Festwochen-Edition sind es in Wien Ansässige zwischen Mitte 60 und Ende 70, die von all dem Liebesleben die sie je hatten, erzählen.

Wer sich traut, das live und ungeschminkt vor Publikum zu machen, hat auch in seinem Liebesleben mehr gewagt als so manch prüder Zuseher. Hinweise darauf geben bereits die von den Protagonisten gestalteten Tische mit Erinnerungsstücken im Theaterfoyer: Da stehen gerahmte Fotos vom geliebten Dackel neben privaten Nacktaufnahmen, Sexspielzeug und dem "Kinsey Report".

In einer Art Konferenz-Setting sitzt er schliesslich auf der Bühne, der Rat der Weisen. Die vier Frauen und zwei Männer nehmen nebeneinander an einem schwarzen Podium Platz, vor ihnen Mikrofon und ein Glas Wein, neben ihnen der wesentlich jüngere Sounddesigner Patrick Lammer.

Dieser führt als Conférencier durch den Abend, ruft Jahreszahlen aus, unterstreicht diese mit Liedern aus der jeweiligen Zeit. Zur Auflockerung für Protagonisten und Publikum gleichermassen wird die Musik mitunter lauter gedreht, beginnen die Senioren zu tanzen.

Lieber über das Liebesleben sprechen als tanzen

Etwas gezwungen wirkt das, und zeigt: Öffentlich Intima ausplaudern ist scheinbar einfacher, als vor Publikum zu tanzen. Beginnend mit 1941 geht die Reise los. Burkhart, Hannelore, Herbert, Hermine, Moni und Veronika erzählen abwechselnd von frühesten Kindheitserinnerungen, ersten sexuellen Erfahrungen, abenteuerlichen Affären, grossen Lieben, Ausrutschern und Umorientierungen.

Sie erinnern sich bildhaft und detailreich, und drehen mittendrin den Spiess um, wenden sich an das Publikum: Per Handzeichen wird eruiert, wer sich ähnlich wie Hermine zu einem bestimmten Männertyp hingezogen fühlt oder wie Moni in manchen Belangen erfinderisch veranlagt ist.

Das sympathische Produktionsteam eilt zu den Mutigen, um coram publico unangenehme Nachfragen zu stellen. Die anfängliche Nervosität im Raum schlägt so nach und nach in eine lockere, gemeinschaftliche Atmosphäre um. Schnell wird klar: Sex dient hier nur als Vorwand.

Mit Liebe und Intimität gehen Herausforderungen einher, neben ungewollten Schwangerschaften auch Übergriffe, Herzschmerz, Untreue, Verlust des Partners. Es geht nicht weniger um ihr Leben, das die Sechs mit den Besuchern teilen.

Verletzlichkeit eingestehen

Freilich: Das ist dramaturgisch in eine straffe Struktur gegossen, die Erzählungen sind teils mittels Betonung und Redundanz auf Pointen getrimmt. Das nimmt dem Erlebnis aber nichts an Authentizität, macht es schlicht kurzweilig und unterhaltsam.

Am schönsten sind die scheinbar spontanen Momente, in denen die Senioren einander zum Lachen bringen, beglückwünschen oder trösten. Etwas irritierend sind manch schnelle Übergänge; Zeit, ein tragisches Bekenntnis sickern zu lassen, bleibt dem Besucher keine.

Das entspricht aber auch der Herangehensweise der Protagonisten, die sich ihre Verletzlichkeit eingestehen, wertfrei und vor allem humorvoll mit dieser umgehen. Das erfordert Mut, den man womöglich erst ab einem gewissen Alter aufbringen kann.

So geht es wie bei vielen Projekten von Mammalian Diving Reflex primär um das Durchbrechen von Generationengrenzen, um das Lernen und Profitieren voneinander. Und ganz nebenbei wird spielerisch mit dem Vorbehalt aufgeräumt, dass es sich mit Intimität im Alter aufhört - und die Nachkriegsgeneration in sexuellen Belangen konservativer ist als die "Youporn"-Jugend.


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