Die Lego-Krise der lieben Enkelkinder

Liebes Lego, vorgestern ist meine Liebe zu dir endgültig erloschen. Ich stand im Kinderzimmer meiner Enkelin. Ein Fehltritt und alles war futsch.
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Lego, das war früher Phantasie ohne Beipackzettel (Bild: Peter Röthlisberger)

ihr Lego-Heartlake-City-Resort, der zuvor noch im Büchergestell vor sich hingestaubt hatte, flog im hohen Bogen auf den Boden und ging in die Brüche.

Die Kleine tobte und als ich sie mit der lächelnden Surferin trösten wollte - die stand noch mit beiden Beinen auf dem Board - schmiss Emma diese quer durchs Zimmer, bis auch dieses Figürchen ins Elend stürzte.

Emma war fassungslos - und ich noch mehr. Sie sagte: "DU HAST MEINE LEGOWELT KAPUTT GEMACHT" und schaute mich entsetzt an, bis ich jenen Satz sprach, den nur ganz, ganz alte Menschen sprechen: "Früher war alles besser."

Ist doch wahr. Ich frage dich, liebes Lego: Was ist bloss aus dir geworden? Du warst einst der Grundstein meiner Phantasien, meiner Träume. Aus dir baute ich Türme, die höher waren als Renzo Pianos doofe Scherbe in London.

Und Schlösser, so eckig und kantig wie die Meisterwerke eines Tadao Ando. Und wenn meine Bauwerke mitunter schief und wackelig waren, sie waren bis hinauf zum Lotterdach vollgepackt mit Geschichten und Abenteuern.

An dir konnte ich meine Träume abarbeiten - und gingen sie mir aus, zerlegte ich dich wieder in alle Einzelteile, machte ich dich platt, so wie es an der Fussball-WM Südkorea mit Deutschland gemacht hat.

Das Ende war der Anfang für etwas Neues. Ohne zu übertreiben: Für mich warst du pures, nie endendes Kinderglück. Ich sehnte mich jedem Päckli mit neuen Klötzchen entgegen und viele meiner Freunde mit mir.

Denn in meiner Jugend waren die 1968er-Jahre, und viele Eltern quälten ihre Kinder mit politisch korrektem Holzspielzeug. Bei mir aber konnten wir davon Pause machen, denn ich hatte dich.

Ei, haben wir dich geliebt. Im Heartlake-City-Resort-Chaos aber ist meine Liebe zerbrochen. Zwischen uns hatte es schon vorher gekriselt, nur hast du das leider nicht bemerkt.

Wie solltest du auch? Du warst damit beschäftigt, meinen Enkeln perfekte Welten in die Kartons zu legen. Kein Detail, das du ihnen vorenthalten wolltest. Kunststoffglänzende Perfektion bis zum Lenkrad der Autos.

Wie oft hast du mich in die Knie gezwungen, mich über mein Kugelbäuchlein beugen lassen und in seltsamste Sitz-Postitionen gezwungen. Da unten am Boden las ich deine Gebrauchsanleitungen, denn du vertraust ja mittlerweile nicht mehr auf die Phantasie der Kinder, sondern gibst ganz genau vor, welches Teilchen an welchen Ort zu setzen ist.

Dabei sind deine Anweisungen etwa gleich lesbar wie die SBB-App - und glaube mir, das ist kein gutes Zeichen. Deine All-inclusive-Welten sind leider nur so lange spannend, bis das letzte Klötzchen seinen Platz gefunden hat.

Danach verlieren die Kleinen das Interesse daran - und stellen dich in die Ecke, wo schon andere Lego-Leichen liegen. Bis ein trottliger Opa über den Teppichrand stolpert und statt den Lego-Weltraumgleiter die Badewelt zum Fliegen bringt.

"UND DABEI HABEN WIR DEN ZETTEL GAR NICHT MEHR, WIE WIR DIE BADI ZUSAMMENBAUEN KÖNNEN", grummelt Emma. "NUN BLEIBT SIE KAPUTT - RÄUM SIE WEG!"

Also holte ich eine Schachtel und versenkte dich in ihrem Schlund. In dieser Sekunde ist meine Liebe zu dir wieder erwacht. Aber nur kurz. Ganz, ganz kurz.

"Alter schützt vor Liebe nicht - aber Liebe vor dem Alter", sagte einst Coco Chanel. Roland Grüter (57), zählt die Liebe zu seinen vier Enkeln mit dazu. Er ist freischaffender Journalist, Mitinhaber der Firma Chefredaktion GmbH mit Sitz in Zürich und lebt mit seinem Partner in einer wilden Patchworkfamilie. Seine Opa-Kolumne erscheint zweimal monatlich.


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