Wohngemeinschaft
Opa wohnt jetzt in einer Senioren-WG
Deshalb suchen sie Mitbewohner, schreiben Anna-Maria Wallner und Eva Winroither auf «diepresse.com». Wenn Veronika Kritzer ihre Ruhe haben will, klebt sie ein Post-it mit den Worten "Bitte nicht stören!" an ihre Eingangstür. Auch ihre fünfjährige Enkelin weiss dann, dass sie die Oma jetzt nicht stören darf. Wenn Frau Kritzer ein paar Stunden später aber ihr "Glas Rotwein nicht allein trinken will", kann sie sich Gesellschaft in ihrem Haus suchen.
Die 62-jährige Pensionistin lebt allein - und irgendwie auch wieder nicht. Vor über einem Jahr hat sie mit 60 Erwachsenen und 30 Kindern den sanierten Genossenschaftsbau in der Krakauerstrasse bezogen. Familien, Paare, Alleinstehende haben ihre eigenen Wohnungen, teilen sich aber 700 m an Gemeinschaftsräumen und verpflichten sich, Zeit für die Gemeinschaft aufzubringen.
Auch Kritzers Sohn ist mit Frau und drei Kindern hier eingezogen. So kann man sich nah sein, aber nicht zu nah. "In einem Zweifamilienhaus zu wohnen, das könnten wir uns nicht vorstellen", sagt seine Mutter. Hier kann man sich aus dem Weg gehen, aber sich unterstützen, wenn es notwendig ist. Mit ihren Gedanken ist Kritzer nicht allein.
Alternative Wohnformen für Senioren, wie Hausgemeinschaften oder WG nach dem berühmten Serienvorbild der "Golden Girls", erleben gerade einen Aufschwung. In Filmen wie der deutsch-französischen Komödie "Und wenn wir alle zusammenziehen" oder gerade erst in der ARD-Komödie "Alleine war gestern" wird diese Entwicklung (wenn auch etwas zu glatt) zunehmend thematisiert.
Aber auch abseits der Kinoleinwand tut sich einiges. Das liegt in erster Linie an der 68er-Generation, die schon in der Jugend alternative Wohnformen gesucht hat und nun ins Pensionsalter kommt. Und manchmal wird aus einem früheren Mehrgenerationenprojekt langsam eine Seniorengemeinschaft. Im Wohnprojekt Dörflein in Herzogenburg etwa wurden 1987 zehn Häuser rund um einen gemeinsamen Dorfplatz gebaut.
Die 30 Bewohner waren sich besonders nah, als ihre Kinder klein waren - "und jetzt rücken wir wieder zusammen, da die Ersten ins Pensionsalter kommen", erzählt der Jurist Markus Distelberger. Heute gibt es gemeinsame Sauna-, Frühstücks- und Walkingrunden. Seit einigen Jahren betreibt er mit einem Kreis von 50 bis 100 Menschen auf einem 20.000 m grossen Gelände am Rand von Herzogenburg auch den Garten der Generationen.
Dort wird zwar nicht gemeinsam gewohnt, aber gemeinsam geackert und gegartelt. Auch die Musikerin Beatrix Neundlinger, früher Teil der Band Die Schmetterlinge, beobachtet, dass ihre Hausgemeinschaft in Wien näherrückt, "wenn jemand Hilfe braucht oder eine Operation hat".
1984 zogen mehrere Familien in das sanierte Haus, eine ehemalige Fabrik im 18. Bezirk - jeder in seine eigene Wohnung, aber man teilte sich Sauna, Hobbyraum und die Kinderaufsicht. Nun, da die Kinder langsam ausgeflogen sind, hat die Gemeinschaft andere Prioritäten. Dass alternative Seniorenbetreuung zusätzlich oder abseits von Altersheimen künftig eine grosse Rolle spielen wird, wissen NGOs schon längst.
In Wien betreiben Wiener Hilfswerk, Caritas und Samariterbund (und die Stadt selbst) einige mehr oder weniger betreute WG. Ein Angebot, das langsam auf Nachfrage stösst: Der ehemalige Museumsmitarbeiter Johann Paternusch entschied sich etwa schnell dafür, in einer Senioren-WG zu wohnen.
"Ich hab's mit dem Blutdruck, da ist eine eigene Wohnung nicht mehr so gut, wenn man hinfällt. Hier hat man eine Hilfe", erzählt er. Der 73-Jährige lebt seit vier Jahren in einer Senioren-WG des Wiener Hilfswerks. Zuerst im vierten Bezirk, seit Kurzem in einer neu gebauten WG nahe der U3-Station Enkplatz.
Hier wohnt er mit Johanna Spielauer, einer 80-jährigen Wienerin mit schneeweissen Haaren und grossen braunen Augen, die nach einer schweren Rückenoperation auf eine Gehhilfe angewiesen ist. Die WG hat sogar Platz für acht Senioren, bald soll ein neuer Bewohner einziehen. Wer hier wohnen will, muss allerdings mobil sein und sich selbst versorgen können.
Eine Heimhilfe kommt zwar, "aber wenn etwas passiert, müssen sie sich zuerst selbst helfen können", sagt Julia Gaviano, die die sechs Senioren-WG des Hilfswerks als Sozialarbeiterin betreut. Dass er nicht rund um die Uhr bewacht wird, gefällt Paternusch hier besonders. "Im Altersheim ist man in gewisser Hinsicht eingesperrt", sagt er.
Hier aber könne er kommen und gehen, wann er will, auch in der Nacht. Und mit seiner Mitbewohnerin Johanna hat er, wie er sagt, "ein gutes Einvernehmen". Auch das Zusammenleben in seiner ersten WG im vierten Bezirk, in der er mit zwei Männern, 85 und 75 Jahre alt, lebte, habe sehr gut funktioniert.
"Man muss sich in jeder Lebensphase, ob alt oder jung, zusammenraufen", sagt er. Gemeinsam hätten die drei Männer geschaut, dass Küche und Bad sauber gehalten wurden, ganz ohne Putz- oder Badezeitenplan. "Den Dreck, den ich mache, den muss ich auch wegräumen", sagt Paternusch und klingt dabei wie ein Student, der den neuen Mitbewohnern die Regeln für das Zusammenleben erklärt.
Es sind die gleichen Regeln wie unter jungen oder mitteljungen Leuten, an die sich Senioren-WG halten müssen - und die gleichen Probleme, über die sie stolpern. Natürlich werden die gemeinsamen Unternehmungen mit zunehmendem Alter und schlechterem Gesundheitszustand der Bewohner weniger; alte Gewohnheiten lassen sich schwerer ändern.
Überhaupt erfordert es Fingerspitzengefühl, die richtigen Bewohner zusammenzubringen. Denn auch wenn das Thema "Zusammenwohnen im Alter in Mode kommt, nicht alle Bewohner, die Interesse an den WG bekunden, würden auch dazu passen, erzählt Sozialarbeiterin Gaviano. Beim Hilfswerk würden sich etwa immer mehr Menschen melden, die schwere psychische Problemen haben.
"Das kann man den anderen nicht zumuten." Auch müsse manchen Menschen erst klargemacht werden, wie das Leben in einer WG funktioniert: Es gibt keine Bedienung wie im Altersheim, kein Programm, der Alltag wird nicht von extern strukturiert. Und manchmal passen Menschen auch einfach nicht zusammen. "Die Toleranz ist im Alter auch nicht mehr so hoch."
Und so wie unter Jungen gibt es auch unter älteren Menschen jene, die sich selbst als nicht unbedingt WG-tauglich sehen. Mirsada Fazlic wohnte nach einem Schlaganfall in einer Hilfswerk-WG, möchte aber unbedingt wieder allein wohnen. "Ich will nicht so viel mit älteren Menschen zusammen sein", sagt sie. Johann Paternusch hingegen will seine WG nicht mehr verlassen. "Meine vorletzte Station ist hier", sagt er. "Dann kommt der Friedhof."