Immer mehr Senioren werden vergewaltigt

Alle vier Minuten wird in Südafrika eine Frau Opfer sexuellen Missbrauchs. Selbst das Hohe Alter schützt nicht vor Übergriffen.
Gewalt gegen Alte, Senioren, Kriminalität
Südafrika, wie passt du auf deine Seniorinnen und Senioren auf? (Bild: Fotolia)

Die Täter kamen nachts und für ihr Opfer völlig unerwartet. Zuvor war Ixopo, die Kleinstadt im Osten Südafrikas, eine vergessene Einöde gewesen – dies änderte sich im April schlagartig. Afrikanische und europäische Medien berichteten über das Dorf, in dem eine 86-jährige Ordensfrau der "Missionsschwestern vom Kostbaren Blut" aus Österreich vergewaltigt und hingerichtet wurde.

Gertrud Tiefenbacher war 1952 ans Kap gezogen, um an einer Dorfschule benachteiligte Kinder zu unterrichten. Am 19. April fanden ihre Mitschwestern sie tot in ihrem Konvent. In einem "hinterlistigen und barbarischen" Akt, so die Südafrikanische Bischofskonferenz, war Tiefenbacher mit dem Band ihrer Schreibmaschine gefesselt und mit einem Handtuch erstickt worden.

Den Tathergang fasste Richterin Nompumelelo Radebe später nochmals bei ihrer Urteilsverkündung zusammen: "Jeder der Beschuldigten hatte Sex mit dem Opfer, als es am Boden lag. Als sie ihren Gewaltakt beendet hatten, gingen sie in die Küche, um Lebensmittel und einen Staubsauger zu stehlen."

Dies sei ein deutliches Zeichen dafür, dass viele "ihren moralischen Kompass" verloren hätten, sagt Peter-John Pearson, Leiter des Bischöflichen Parlamentsbüros, anlässlich des "Welttags gegen den Missbrauch älterer Menschen", der am kommenden Montag begangen wird. In einer Kultur, die alte Menschen normalerweise als Quelle der Weisheit hochhalte, sei Tiefenbachers Gewalttod ein "grober Verlust an Würde". Und dennoch ist er weiss Gott kein Einzelfall.

2012 nannte Interpol das Land am Kap die "Welthauptstadt der Vergewaltigung" und schätzte das Risiko für Südafrikanerinnen, vergewaltigt zu werden, grösser ein als die Chance, eine Ausbildung zu erhalten. Alle vier Minuten wird im Durchschnitt eine Frau vergewaltigt. Die Ursachen sind komplex und reichen von Armut, über zerrissene Familien und gebrochene Männlichkeit bis hin zu einem historischen Gewaltproblem in Südafrikas Gesellschaft. Denn obwohl die Nation seit nunmehr 21 Jahren in einer Demokratie nomineller Gleichberechtigung lebt, bleibt sie eine Gesellschaft im Übergang.

Die Grossmütter der 53-Millionen-Nation sind von dieser Gewaltspirale nicht ausgenommen. Eine Woche vor dem Mord an Tiefenbacher hatte die Polizei einen Jugendlichen verhaftet, dem ein sexueller Übergriff auf eine 65-Jährige vorgeworfen wurde. 2013 wurden Angriffe auf eine 73- und eine 82-Jährige Frau verzeichnet. Im Jahr zuvor musste sich ein Südafrikaner wegen drei Vergewaltigungen einer 60-, 65- und 93-Jährigen verantworten.

Während die Misshandlung älterer Menschen in westlichen Industrieländern vor allem psychischer und finanzieller Natur sei, müsse der Begriff in Südafrika um sexuelle Gewaltverbrechen erweitert werden, heisst es in einem Bericht der Universität Kapstadt. Nach Einschätzung von CJ van Zyl, Direktor der Senioren-Hilfsorganisation Fulani, dürfte sich die Situation auch in den kommenden Jahren nicht bessern. "Südafrikas Bevölkerung altert schnell, und bis 2031 wird sich die Zahl der 60-Jährigen und darüber hinaus verdoppeln."

Auch die Regierung in Pretoria verurteilte die Gewaltverbrechen. "Was der Ordensfrau und vielen anderen Greisinnen in den vergangenen Monaten zustiess, ist das Schlimmste, was eine Frau durchleben kann", sagte Weziwe Thusi, Regionalrätin für soziale Entwicklung in KwaZulu-Natal.

Der Leiter des kirchlichen Parlamentsbüros Pearson sieht die Regierung in der Pflicht. Die Abgeordneten hätten eine "riesige Menge guter Gesetze" beschlossen, ohne jedoch auf die Umsetzung zu drängen. Durchschnittlich werde nur jede neunte Vergewaltigung angezeigt; Sozialarbeiter und Psychologen seien rar. Selten würden die tatsächlichen Täter gefunden.

Ein erster Schritt, so Pearson, sei die jüngste Einführung einer Mindesthaftstrafe für Vergewaltigungen und deren Gleichstellung mit Mord. Dies diene als Abschreckung. Auch die Richterin, die Tiefenbachers Mörder zu je zweimal lebenslanger Haft verurteilte, warnte potenzielle Nachahmer bei ihrem Urteilsspruch: "Wenn ihr Ohren habt, hört zu – und hütet euch vor solch abscheulichen Verbrechen."


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