BESTSELLER-VERFILMUNG
Der Hundertjährige, der in Kalauern badet
Die Kinoversion folgt der Vorlage getreulich, schreibt Thomas Andre auf "spiegel online" und meint das nicht als Lob.
Der alte Schwede Allan Karlsson ist eine der populärsten Erscheinungen der Gegenwartskultur. Dabei ist er ein eher unwahrscheinlicher Held. Er trottet meist durch die Szenerie, und besonders helle scheint er auch nicht zu sein. Aber zumindest auf hintersinnige Weise lebensklug.
Er weiss zum Beispiel, dass es genau richtig sein kann, mitten ins Nirgendwo zu fahren, statt sich von Langweilern im Altersheim anlässlich seines Geburtstags feiern zu lassen. Was soll der Sozialstress? Lieber durch die schwedische Pampa tapern. Mehr als zwei Millionen Käufer fand Jonas Jonassons Roman "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" in den vergangenen zweieinhalb Jahren allein in Deutschland.
Die Geschichte um den Senior, der aus der Anstalt ausbüxt, zufällig an einen Geldkoffer gerät und diesen gegen eine minderbemittelte Ganovenbande verteidigen muss, während er sich an welthistorisch bedeutende Ereignisse erinnert, an denen er immer irgendwie beteiligt war, wurde ein internationaler Bestseller.
Weil die Handlung gnadenlos auf skurril getrimmt wurde - und weil die Idee charmant ist, unter dem Vorzeichen der Beiläufigkeit von Grossem zu erzählen. Man könnte es, wie in beinahe jeder Rezension des Romans geschehen, das Forrest-Gump-Syndrom nennen: Geschichte wird im Grunde immer von schlichten Geistern gemacht.
Klar, dass so ein erfolgreicher Stoff, der Balsam für Literaturlobbyisten war und angesichts der forcierten Medienkonkurrenz ja wirklich eine schöne Sache für das alte Kulturgut Buch, nun ins Kino muss - so sind sie, die Gesetze der Kulturindustrie. Und dass die Schweden selbst sich in Person des Regisseurs Felix Herngren ihres Exportschlagers angenommen haben, ist auch nur folgerichtig.
So kann sich der Hundertjährige in vertrautem Umfeld durch den nicht enden wollenden Spätherbst seines Lebens kalauern. In Herngrens Adaption ist das nordische Flachland zu Anfang eine fast meditative Qualitäten entwickelnde Spielfläche, auf der sich der Plot auf unaufgeregte Weise entfalten kann.
Später geht diese Anmutung aber verloren - weil der Film genauso überdreht wie die Vorlage. "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" ist ein mit behaglicher Bildsprache inszeniertes Komödchen, wobei die Betulichkeit allerdings oft nur vorgetäuscht ist.
Manche Momente sind voll derben und schwarzen Humors: etwa wenn eine verunglückte Bombenexplosion den Schädel eines Sonntagsausflüglers durch die Naturidylle segeln lässt. Den Hobby-Sprengmeister Karlsson stellt Robert Gustafsson dar. Der in seiner Heimat bekannte Komiker wird von den Maskenbildnern mal zum jungen Mann, mal zum Methusalem geschminkt.
Seine schelmische Freundlichkeit behält er aber stets: Gleich, wie alt er ist, und egal, ob er sich mit Franco, Stalin und Truman zum Gelage trifft oder für Oppenheimer die Atombombe fertigbastelt. Auch auf der Leinwand ist "Der Hundertjährige" ein Lustspiel mit einigen einprägsamen Szenen und stellenweise gelungener Situationskomik - mit alten Säcken, lakonischen Dialogen und Knalleffekten, die allerdings zu billig zu haben sind.
Die ursprüngliche Story baut in enervierender Weise auf repetitive Elemente, das Drehbuch folgt hierin der Vorlage. Der märchenhafte Erfolg des "Hundertjährigen" bleibt da ein wenig rätselhaft. Die Dauerpointe mit dem arglosen Helden, der folgenreich durch die Weltgeschichte tapert, dominiert auch im Film auf penetrante Weise das Geschehen, kein einziger Gag ist subtil gesetzt.
Im Gegenteil, die Kinoadaption will sogar noch einen drauflegen. Als der junge Karlsson in den dreissiger Jahren von einem Rassenforscher sterilisiert wird, stellt der die angebliche anatomische Ähnlichkeit des Patienten mit Afrikanern fest, die von ferneren Gestaden als Malmö oder Stockholm stammen: Der Hundertjährige hat einen grossen Schniedel! Das wirkt politisch inkorrekt, das schadet ja nie.
Und vielleicht ist noch mehr Holzhammer-Humor auch die richtige Rezeptur für die Vergrösserung der ohnehin gewaltigen Fan-Basis. Die wohl angenehmste Eigenschaft des "Hundertjährigen" wird aber nicht einmal im Buch betont: Dass sich hier einer treiben lässt, der nichts Besonderes will vom Leben - in dieser Lesart ist die Geschichte um Allan Karlsson eine amüsante Studie über Bocklosigkeit.
Wer auf das Genre Krimikomödie steht und Instant-Humor mag, der weder Nachdenken erfordert noch Nachhall produziert (was ja durchaus eine Qualität sein kann), wird diese Bestseller-Verfilmung gewiss nicht reizlos finden. Und das besonders wegen der makaberen Momente, die nicht unbedingt anarchisch sind, aber wenigstens keine Scheu kennen.