MOBILITÄT
Freipass für ältere Menschen am Steuer
Der Bund plant in seinem zweiten Via-Sicura-Paket Massnahmen, die ihnen zu Gute kommen. Verkehrsmediziner und Strassenverkehrsämter melden grosse Bedenken an.
"Via Sicura" nennt sich das grosse Projekt des Bundes, das zu weniger Toten und Verletzten auf den Schweizer Strassen führen soll. Doch es beinhaltet überraschenderweise einige Erleichterungen für autofahrende ältere Menschen. Wer die medizinischen Anforderungen nicht mehr ganz erfüllt, soll auf definierten Strecken weiterhin fahren dürfen.
"Der Führerausweis kann namentlich örtlich, zeitlich, auf bestimmte Strassentypen (...) beschränkt werden", steht in der Verordnung des Bundes, die nächstes Jahr in Kraft treten soll. Senioren dürften also zum Beispiel nachts nicht mehr auf die Autobahn, weiterhin aber von der Wohnung bis zum Dorfladen fahren.
"Es geht darum, die Mobilität des einzelnen Menschen zu erhalten", erklärt Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen in der Sendung "10vor10". "Es soll einen gewissen Handlungsspielraum geben, damit man im Einzelfall die richtige Lösung finden kann."
Wenige ländliche Kantone würden schon heute in absoluten Ausnahmefällen Fahrbewilligungen für gewisse Strecken erteilen, weiss Carlo Gsell, Leiter Administrativmassnahmen beim Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich. Die entsprechenden Rayons würden auf dem Fahrausweis mit einem Code vermerkt.
Gsell befürchtet, dass die Senioren solche Fahrberechtigungen aktiv einfordern werden, sollte der Bund diese Möglichkeit in der geplanten Verordnung explizit erwähnen. "Betroffene könnten eine solche eingeschränkte Fahrerlaubnis beantragen."
Verkehrsmediziner Rolf Seeger von der Universität Zürich kritisiert die Pläne des Bundes scharf. Bei vielen Senioren hat er Hirnleistungsstörungen diagnostiziert. Autofahren sei dann generell zu gefährlich: "Wenn die Hirnleistungs-Störungen verkehrsrelevant sind, geht das auch nicht in einem engen Rayon. Der Senior macht dann die Fehler auch an seinem Wohnort, auch beim Schulhaus, wo er verlangsamen müsste."
Der Bund will auch die Mindestsehschärfe nach unten korrigieren. Heute muss man mit Brille auf dem besten Auge mindestens 60 Prozent sehen, neu nur noch 50 Prozent. Das sei eine Angleichung an die EU-Normen, wie Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen erklärt.
"Eine halbe Milliarde EU-Bürger darf so herumfahren, auch auf unseren Strassen", sagt Rohrbach. "Somit gehen wir davon aus, dass das für Schweizerinnen und Schweizer auch genügt."
Verkehrsmediziner Seeger kritisiert die Anpassung an die EU-Normen: "Die 60 Prozent Sehschärfe bilde eine Reserve bei Dämmerung oder in der Nacht. Diese Reserve haben wir dann nicht mehr."