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Stärker als gedacht: Demenz in der Familie

Roxane und Maïté sind zwei junge Frauen. Jeweils ein Elternteil der beiden ist jung an Demenz erkrankt. Am Treffen erzählen sie, wie sie mit damit umgehen.
Stärker als gedacht: Demenz in der Familie
Maïté, Roxane sprechen über die Demenzerkrankung ihrer Eltern (Bild Alzheimer Schweiz)

Maïté (MB), Roxane (RB), ihr wart beide knapp zwanzig Jahre alt, als die Anzeichen einer Demenz bei euren Eltern in eine Diagnose mündeten.

MB: In den Familienferien häuften sich die Zwischenfälle spürbar. Das enge Zusammensein verdeutlichte unausweichlich das ungewohnte Verhalten meines Vaters gegenüber seinem Umfeld, besonders gegenüber Mutter.

RB: Bei mir, war’s ähnlich. Genauer gesagt, bestätigte die Ferienwoche mit meiner Mutter meine Befürchtungen, denn ich hatte bereits vorher Symptome beobachtet, die denjenigen meines Grossvaters ähnelten. Er starb an einer genetisch bedingten Demenz. Da meine Mutter schon früher depressive Phasen hatte, wusste ich, dass das Stottern oder ihre Mühe zu unterschreiben, eben nicht Zeichen einer Depression waren, obwohl der Arzt dies wiederholt sagte.

Wie ging’s weiter?

RB: Der Arzt war weiterhin keine Hilfe. Vielleicht kanzelte er mich auch so ab, weil ich erst 20 war. Ich wurde selbst aktiv: Habe mit meiner Mutter, damals 48, zwei Gentests machen lassen. Das war echt eine Erleichterung, weil ich nun wusste, woran ich war. Die ersten Monate habe ich unser Leben mit ihren Panikattacken, Halluzinationen, alleine bewältigt. 

MB: Der Hausarzt überwies meinen Vater (56) an die Memory Clinic. Da ahnte ich, in welche Richtung die medizinischen Abklärungen führen konnten. Ich war sozusagen teilvorbereitet.

Fühlt ihr euch anders als Gleichaltrige?

RB: Teilweise schon. Meine Mutter liegt ja hier neben uns, weil ich beschlossen habe, meinen Beruf als Kosmetikerin vorübergehend aufzugeben und sie zuhause zu pflegen. Ich habe realisiert, welch zentrale Bezugsperson ich für sie bin. Das ist womöglich nicht der «normale» Alltag von anderen in meinem Alter. Aber ich kann mir die Pflege mit zwei Angestellten teilen: Sie übernehmen je acht Tage, ich 14 Tage im Monat. In meiner Freizeit unternehme ich wie andere das, worauf ich Lust habe.

MB: Man lernt schnell, sich aufs Wesentliche im Leben zu konzentrieren, im Heute zu leben. Belanglose Gespräche meide ich. Meine Arbeitskolleg_innen, Freund_innen, fühlen mit, zeigen Verständnis. Es ist jedoch viel Unkenntnis da über das Ausmass und die Vielfältigkeit der Krankheitssymptome. Viele meinten anfänglich, es handle sich vor allem um «Vergesslichkeit».

Mich verblüffen eure Gelassenheit, eure Stärke, eure Initiative.

MB: Seit zweieinhalb Jahren erlebe ich meinen Vater, wie er alles gibt, um dabeizubleiben. Wie er es liebt, wenn ich ihm bei meinen Besuchen das Essen eingebe. Das ist seine Art, in Beziehung zu treten. Die Gefühle sind da! Und stellt euch vor: Ich spiele neuerdings und erstmals in meinem Leben Lego mit ihm.

RB: Wir lernen, mit rasch wechselnden Höhen und Tiefen umzugehen. Der Zustand meiner Mutter hat sich in wenigen Jahren rapide verschlechtert. Und trotzdem: Wenn sie eine Fähigkeit definitiv verlor, überraschte sie mich – trotz der schweren Krankheit – mit ihrem Kampfgeist. Es gibt Nächte, da schläft sie nicht, andere wieder gut. Ein Schock war es, als sie mit Sprechen aufhörte. Nun sind wir auf nonverbal umgestiegen.
MB: Wir passen uns so an, um möglichst vieles mit Papa zu unternehmen. Seit einem Jahr ist er im Pflegeheim. Meine Mutter war zwar erschöpft, sträubte sich jedoch gegen diesen Schritt. Der Notfallaufenthalt meines Vaters im Spital wegen eines Infektes war ein Kraftakt zu viel für sie.

Inwiefern?

MB: Die wussten nichts über Demenz! Da meinte jemand tatsächlich, man könne meinem Vater ohne Vorwarnung Blut abnehmen oder ihm ein Glas einfach nur hinstellen und ihn auffordern zu trinken. Das Ärztepersonal? Auch kein Demenzwissen. Ich war deswegen oft ab sechs Uhr morgens den ganzen Tag vor Ort.

RB: Demenzwissen fehlt vielerorts. Meine Mitpflegerinnen kommen beide nicht aus der Pflege und haben kein Diplom. Beide Kontakte habe ich am Migros-Anschlagbrett gefunden. Wir haben uns alle drei «on the job» Pflegekenntnisse und -fertigkeiten für Demenzerkrankte angeeignet. Wir ergänzen uns super mit der Pflegefachfrau, die zweimal täglich für die Medikation kommt.

Ihr zeigt sehr viel Initiative und tragt aktiv mit. Habt ihr noch eine Botschaft für die Lesenden?

RB: Die Demenzkrankheit meiner Mutter hat mich von einer unsicheren Jasagerin zu einer selbstbewussten Kämpferin gemacht. Diese Stärke nimmt mir niemand mehr weg.

MB: Die Demenz wird mir irgendwann mal meinen Vater nehmen. Ich lerne vieles, ergreife die Initiative, treffe Entscheide. Ich setze meine Stärken für meine Familie ein.

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