Corona-Kolumne
Wieso wir WC-Papier gehamstert haben
Die Hamsterei von WC-Papier ist eines der interessanten Kapitel der vielen Kapitel dieser Corona-Krise. Da wir ja nun schon ein paar Tage in freiwilliger Heimisolation verbringen, haben wir auch genügend Zeit, über dieses Phänomen nachzudenken.
Ab und zu geht man doch noch raus, um ein paar Einkäufe zu machen und als 50plus von Jugendlichen schräg angeschaut zu werden.
Was im Grossverteiler auffällt: Die Hinweise an den Gestellen, dass es zu Engpässen bei einigen Lebensmitteln kommen könne. Ein sehr schöner Nebeneffekt übrigens, dass sich in der Corona-Krise die Detaillisten zusammengeschlossen haben und im Print, Online und auf Social-Media-Kanäle gemeinsam dazu aufrufen, Hamsterkäufe zu unterlassen.
Hamsterkäufe sind tatsächlich quatsch, weil eigentlich alles verfügbar ist. Davon kann man sich bei seinen kurzen Ausflügen in die Lebensmittelwelt vergewissern. Schnell die Hände am Eingang desinfizieren, dann rein in den Laden, alles ist da. Ausser WC-Papier.
WC-Papier ist aber nun nichts Lebenserhaltendes wie Pasta, Fleisch, Früchte oder Netflix. Wieso rissen die Kunden damals, als es noch genug WC-Papier für alle gehabt hätte, dem Verkaufspersonal die Grosspackungen aus den Händen, als hinge ihr Leben davon ab?
Wieso treffe ich um 7.10 Uhr einen Menschen auf der Strasse an, der ein Riesenpaket WC-Papier mit sich trägt und sonst nichts? Wird irgendwo damit gedealt? Das wirklich Ärgerliche daran: Würde nicht gehamstert, hätte es für alle genug. Solidarität ist hier am Arsch – entschuldigen Sie die Ausdrucksweise.
Niemand leidet, wenn ihm das WC-Papier ausgeht. Es gibt noch Papiertaschentücher, Kleenex, Haushaltspapier, Zeitungspapier, im schlimmsten Fall die Dusche. Die Toilettenpapier-Krise ist rational nicht zu erklären.
Ebensowenig die Szene in Oppenheim im Bundesland Rheinland-Pfalz, als eine 37-Jährige ohne zu bezahlen mit 30 Packungen Toilettenpapier aus einer Drogerie geflüchtet ist. Die Verkäuferin hatte ihr erklärt, dass sie nur eine geringe Menge verkaufen dürfe. Die Frau brachte das Diebesgut später zurück zur Polizei.
Was in sich wieder erklärbar ist: Die Frau hat nicht aus Hunger gestohlen, nicht aus Angst um sich selbst oder ihre Angehörigen, nicht in einer medizinischen Notsituation. Setzt das rationale Denken wieder ein, muss jedem Mensch klar sein, wie absurd WC-Papier als Diebesgut ist.
Weshalb aber hamstern die Menschen sinnlose Dinge? Verhaltensforscher meinen, das Gefühl treibe sie an, nicht der letzte im Umzug zu sein. Derjenige, der zu kurz kommt, der Betrogene ist. Der Herdentrieb ist ein ganz starker Treiber, die hart erlernte soziale Kompetenz über den Haufen zu werfen. Wenn alle anderen WC-Papier haben, will der Hamsterer das auch.
Im psychiatrischen Sinne sind Hamsterkäufe wie Zwangshandlungen, bei denen der absolut unverhältnismässige Toilettenpapier-Kauf dazu dient, vermeintlich die Kontrolle zurückzugewinnen. Für den Hamsterer selbst sieht es nach Autonomie und einem Plan aus.
Je mehr Niederlagen der Mensch in seinem Leben erlebt hat, je mehr Zurückstellung und je häufiger das Gefühl, dass es allen anderen besser ergangen ist im Leben, desto mehr neigt er zu irrationalen Selbstbevorteilungsmassnahmen.
Ich finde solche Hamstereien grässlich, egostisch, unsolidarisch und dumm. Eine Entblössung tiefer menschlicher Abgründe. Eine zivilisatorische Bankrotterklärung. Medienberichten zufolge sind auch Tierhandlungen leergekauft worden. Von Menschen, die in diesend langen Wochen nicht alleine sein wollen. Das ist wenigstens eine gute Erklärung. Die Hamster sind auch ausverkauft.
Peter Röthlisberger, Partner und Inhaber 50PLUS
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